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Keine Angst vor Hanf: Anslingers Erben

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Der Titel des vor 21 Jahren erschienen Buchs “Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf” von Jack Herer und Mathias Bröckers wurde Programm – Cannabis erfuhr eine Renaissance als Nutzpflanze, Lebensmittel und Medizin. Als Genuß,- und Rauschmittel ist es aber nach wie vor illegal, obwohl zweifelsfrei erwiesen ist, dass die Prohibition nicht zu einem wirksamen Jugend,-und Gesundheitsschutz beiträgt. In den Niederlanden, wo es seit Jahrzehnten in Coffeshops verkauft werden darf, wird weniger gekifft als in Deutschland. Nachdem im Mutterland der Prohibition, den Vereinigten Staaten, die ersten Bundesländer per Volksabstimmung eine vollständige Legalisierung beschlossen und Länder wie Portugal mit einer vollständigen Entkriminalisierung sehr gute Erfahrungen gemacht haben, wird eine Reform der Cannabis-Gesetzgebeung auch in Deutschland überfällig. In seiner jetzt im Westend-Verlag erschienenen Streitschrift “Keine Angst vor Hanf – Warum Cannabis legalsiiert werden muß” hat Mathias Bröckers die Argumente für ein sofortiges Ende der Prohibition zusammengefaßt. Heute ein weiterer Auszug aus dem Buch:

 

Mit Horrormärchen vom „Mörderkraut Marihuana“ und von Schwarzen und Latinos, die nach einer Zigarette mit dem „Teufelskraut“ bevorzugt weiße Frauen vergewaltigen, fütterte Anslingers neu gegründetes „Federal Bureau of Narcotics“ (FBN) regelmäßig die Medien, wobei der Begriff „Marihuana“ dafür sorgte, dass das Publikum dies für eine neuartige Droge hielt, die niemand mit dem guten alten Hanf beziehungsweise dem in der Apotheke als Blüten und in zahlreichen Tinkturen erhältlichen „Cannabis“ in Verbindung brachte. Auch nicht die Mitglieder des US-Kongresses, die Anslinger mit seinen haarsträubenden Geschichten auf Linie gebracht hatte und die 1937 die bundesweite Prohibition beschlossen – was auch den industriellen Hanfanbau zum Stillstand brachte.

Nachdem man Harry Anslinger 1948 zum Leiter des Drogenbüros der neu gegründeten UNO gemacht hatte, setzte er diese Politik auf internationaler Ebene fort und krönte sein Lebenswerk 1961 mit der „Single Convention on Narcotic Drugs“, die von 180 Nationen ratifiziert wurde. Voraussetzung für diese globale Prohibition von Cannabis waren wie schon 1937 in den USA pseudowissenschaftliche Gefälligkeitsgutachten, die der Pflanze jeden medizinischen und therapeutischen Wert ab- und ein extremes Gefahren- und Suchtpotential zusprachen. So kam Cannabis in „Schedule 1“, die Klasse der gefährlichsten illegalen Drogen und verschwand aus den Arzneibüchern ebenso wie aus den Lehrplänen der Ärzte und Apotheker. Fortan war von Marihuana nur noch im Zusammenhang mit „Rauschgift“, „Sucht“, „Vergewaltigung“, „Mord“ und „Wahnsinn“ die Rede. Die Hanfpflanze wurde zur „flora non grata“, zur am meisten verfolgten Droge der Welt.

12.08.14 20:39-Bildschirmkopie-2„Sicherlich ist Marihuana eher harmlos. Aber die Sache war ein Beispiel dafür, dass ein Verbot die Autorität des Staates stärkt”, hatte Anslinger zwar gegen Ende seines Lebens bekundet – nachdem schon aktenkundig geworden war, dass 95 Prozent der „zweifelsfreien Quellen“ und „Fakten“, die er für die nationale und internationale Durchsetzung der Hanf-Prohibition angeführt hatte, aus Boulevardzeitungen stammten. Doch die von seiner Diffamierungs- und Desinformationskampagne ins kollektive Unbewusste gepflanzten Ängste blieben virulent und verhindern bis heute eine rationale Politik in Sachen Cannabis. Der autoritative, ordnungspolitische Faktor bedient weiterhin Mythen und Märchen, eine wissenschaftlich fundierte Bewertung der Gefahren und eine sachliche Kosten-Nutzen-Rechnung der Prohibition werden dabei hartnäckig vermieden. Dass Cannabis nicht aggressiv macht, sondern eher entspannt und statt zu Gewalt und Mordtaten eher zu Müdigkeit führt, diese schon bald einsetzende Entzauberung von Anslingers „Mörderkraut“-Märchen führte dann auch nicht zu einer Rehabilitierung des Hanfs.

Vielmehr wurde die schon 1944 im „La Guardia“-Report (und seitdem immer wieder) festgestellte relative Harmlosigkeit des Hanfs für eine neue Propagandastory verwendet – das Märchen von der „Einstiegsdroge“. Auch wenn Cannabis eher unschädlich sei, führe es doch zwangsläufig zu härteren, gefährlicheren Drogen und zur Sucht – so die mittlerweile zwar auch schon lange und definitiv widerlegte, doch bis heute immer wieder vorgetragene These. Nicht nur manische Antidrogenkrieger und geschäftstüchtige Prohibitionisten, Politiker und Behörden sowie auch Wissenschaftler entblöden sich nach wie vor nicht, auf Anslinger-Niveau zu argumentieren. (…)

Aus der 1930 mit 100 000 Dollar des Chemieriesen Duponts finanzierten „Mörderkraut“-Kampagne ist bis heute ein gigantisches, aus Steuergeldern finanziertes System der Drogenverfolgung entstanden, das in jedem Land der Welt zahlreichen Institutionen und vielen Unternehmen die Existenz sichert. Dass diese mehr als acht Jahrzehnte Verfolgung den Hanfkonsum nicht zum Verschwinden gebracht haben, sondern Angebot und Nachfrage stetig gewachsen sind – dass also die Prohibition offensichtlich nicht funktioniert –, ficht diese Institutionen nicht an. Ihre Budgets sind ständig gewachsen – sehr konservative Berechnungen gehen derzeit von 3 Milliarden Euro an Kosten aus, die die Verfolgung illegalisierter Drogen bei Polizei und Justiz in Deutschland verursachen, wovon mehr als die Hälfte auf die Cannabisprohibition entfallen. Diesen stetig wachsenden Budgets (seit 1980 hat sich die Zahl der Strafverfahren nahezu vervierfacht) steht nicht etwa eine abnehmende Verbreitung des Cannabiskonsums gegenüber, sondern das Gegenteil: Die Zahl der Konsumenten wächst und wächst. Seit 1994 hat sich die Zahl der Konsumenten verdoppelt, mittlerweile gibt es etwa 2,5 Millionen Menschen in Deutschland, die gelegentlich Cannabis zu konsumieren

„Ja aber weil der Ladendiebstahl zunimmt, können wir doch das Diebstahlsverbot nicht abschaffen!“, wenden da nicht nur Jurastudierende des ersten Semesters ein, sondern auch Politiker und Staatsanwälte – wobei erstere aber an der Universität schnell lernen, dass rechtlich zwischen einer Selbstschädigung (durch Alkohol, Tabak, Cannabis und so weiter) und einer Schädigung anderer (durch Diebstahl) streng unterschieden werden muss, während letztere als gelernte Juristen diesen Unterschied zwar durchaus kennen, ihn zum Zwecke der Demagogie aber unterschlagen. 243836_0Die ehemalige Bundesdrogenbeauftragte, Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD), hat sich diesbezüglich im April 2014 besonders hervorgetan: Wer das Cannabisverbot abschaffen wolle, weil es massenhaft übertreten wird, könne ja auch die Fußgängerampeln abschaffen, weil viele bei Rot über die Ampel gehen. Und durch eine kontrollierte Abgabe der organisierten Kriminalität das Wasser abzugraben, hält Frau Sabine ebenfalls für eine schlechte Idee – und vergleicht den Cannabiskonsum mit Zuhälterei und Zwangsprostitution: „Wenn ich es nicht mehr bestrafe, dass Frauen zum Geschlechtsverkehr gezwungen werden, dann gibt es da auch keine Kriminalität mehr, kann ja jeder legal machen. Gäbe es einen Anslinger-Preis für durchgeknallte Prohibitionspropaganda, Bätzing-Lichtenthäler wäre fraglos eine aktuelle Topkandidatin.

 

“Keine Angst vor Hanf – Warum Cannabis legalisiert werden muß”  ist  im taz-Shop erhältlich.

 

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